Die Rückkehr der Nummer 57
Der Porsche 901 ist ein Mythos. Denn er ist der Ursprung des 911: Im Herbst 1963 präsentiert Porsche den 901 als Showcar auf der IAA.
Ein Jahr später stellt Porsche ein serienreifes Fahrzeug vor, jedoch nur wenige Wochen später muss das Coupé wegen eines markenrechtlichen Einspruchs umbenannt werden und heißt fortan 911. Alle bis dahin produzierten Kundenfahrzeuge wurden zwar unter der Bezeichnung 901 gebaut, aber als 911 verkauft. Eine dieser Raritäten fehlte 50 Jahre lang in der Werkssammlung von Porsche. Bis ein Anruf am 5. August 2014 alles änderte.
An diesem Tag erreicht Alexander Klein, den Leiter Fahrzeugmanagement des Porsche Museums, die Anfrage des Fernsehsenders RTL2. Es geht um zwei „Scheunenfunde“ in Form zweier betagter 911. Auf diese war das Team einer Doku-Soap beim Verwerten einer längst aufgegebenen Sammlung gestoßen. Als bei der Beschreibung die Zahl 300 057 genannt wird, „da ist der Groschen gefallen“, erzählt Alexander Klein. Es ist die Fahrgestellnummer eines der ersten produzierten 911, gebaut im Herbst 1964 noch unter der Bezeichnung Porsche 901.
Dieser betagte 911 war einer der „Scheunenfunde“
Elf Tage später besichtigen zwei Experten des Porsche Museums in einem ehemaligen Bauernhof in Brandenburg die beiden Fahrzeuge. Zunächst treffen sie auf einen goldfarbenen 911 L von 1968 in desolatem Zustand. Ganz hinten in der Scheune, zum großen Teil noch unter einer zentimeterdicken Staubschicht, stoßen die beiden Besucher aus Zuffenhausen danach auf die Reste eines roten 911. Ihm fehlen beide Vorderkotflügel und der Rost hat bereits ganze Partien weggefressen. Bis auf die Armaturentafel besteht die Innenausstattung großteils nur noch aus Fragmenten. Die Bremsen sind festgefressen, der Motor ebenso. Die unberührte Fahrgestellnummer weist ihn jedoch zweifelsfrei als Original aus. Ein lang gehegter Traum der Museums-Mannschaft rückt in greifbare Nähe: Ein 911 von 1964.
Wertvolle Geschichte: Über 100.000 Euro für den ältesten Elfer des Museums
Die Zeit drängte. Das Auto sollte so schnell wie möglich verkauft werden. Um ein fundiertes Angebot zu machen, wurde eine genaue Untersuchung in Zuffenhausen vereinbart. Zwei Wertgutachten externer Sachverständiger kamen zum gleichen Ergebnis. und lagen weit jenseits aller Erwartungen des Verkäufers. 107.000 Euro bezahlte Porsche für den roten Ur-911, 14.500 Euro für den goldenen 911 L. Letzterer wird so bleiben wie er ist. Ungewaschen. Lebendige Geschichte.
Das Angebot für die „Scheunenfunde“ lag weit jenseits aller Erwartungen des Verkäufers
Die Bestandsaufnahme der beiden Gutachter verhieß eine Menge Arbeit an dem historisch bedeutsamen Elfer, der fortan unter dem Spitznamen „Nummer 57“ lief. Motor und Getriebe waren nicht mehr die ursprünglich verbauten Aggregate aber die typgleichen. Viele Baugruppen waren sehr stark korrodiert und unbrauchbar. Andere Teile wie der Innen- und Außenschweller rechts, die vordere Stoßstange und deren Aufnahmen fehlten ganz. Im Fahrwerksbereich sah es nicht besser aus. Der Rostfraß hatte allen Achs- und Achslenkeraufnahmen an Vorder- und Hinterachse stark zugesetzt. Die beiden Längsträger hinten im Bereich des Hinterachsquerrohres waren gänzlich abgerostet. Und dies sind nur einige Beispiele.
Andererseits barg der Klassiker einige Details, die Kuno Werner, den Leiter der Museumswerkstatt, ins Schwärmen bringen: "Das Auto hat viel von dem bewahrt, was es nur bei den allerersten Exemplaren gab." Die Lederstulpe um den Schalthebel beispielsweise, der in dieser Form nur in der 901-Phase verbaut wurde. Die Befundung stellte den versierten Museumsexperten auch vor manches Rätsel. Zum Beispiel entpuppten sich die zwei Vierkantrohre unter der Sitzverstellung erst nach längeren Recherchen als Sitzerhöhung, die ab Werk auf Wunsch lieferbar war.
Die Sitze selbst haben auch ihre Geschichte. Zusammen mit der Nummer 57 und dem 911 L kamen auch zwei Gitterboxen voller Teile mit nach Zuffenhausen. In dem Sammelsurium fanden sich auch zwei 911-Sitze. Vermeintlich zur Nummer 57 gehörend, doch die Lehnen hatten fünf Pfeifen, wie die vertikal abgenähten Unterteilungen des Polsters genannt werden. Die ersten Elfer hatten dagegen Sitze mit sechs Pfeifen. Und die, stellten die Museumsexperten überrascht fest, waren in dem goldfarbenen Modell von 1968 montiert, das Porsche in Brandenburg gleich mit gekauft hatte.
Alles muss raus: Beginn der Restaurierung
Die Restaurierung der Nummer 57 begann - wie üblich - mit der vollständigen Zerlegung. Behutsam und mit großer Sorgfalt. Auch wenn ein Bauteil vielleicht nicht mehr gerettet werden konnte, war es unter Umständen doch als Muster unverzichtbar. In Einzelteilen ging der frühe Elfer an ein Netzwerk von Spezialisten bei Porsche Classic und Zulieferern, zu Karosseriebauern, Sattlern und Polsterern.
Die Restaurierung der Nummer 57 begann - wie üblich - mit der vollständigen Zerlegung
Der übrig gebliebene Torso ging zum Entrosten und Entlacken ins chemische Vollbad. Dieses Verfahren ist sehr viel schonender als alle mechanischen Verfahren, die mit Strahlgut arbeiten. Die Oberflächen kamen in genau dem Zustand wieder ans Tageslicht, in dem sie vor über 50 Jahren versiegelt wurden. "Man kann genau erkennen, ob und wo etwas verändert wurde", erklärt Kuno Werner. Verfärbungen im Metall deuten auf Schweißarbeiten oder Bearbeitungen mit Schleifmaschinen hin; beim Strahlen können solche Indikatoren dagegen verschwinden, weil das Strahlgut die Oberfläche verändert. Wichtig insbesondere im Bereich der Fahrgestellnummer, eingeprägt in einem Querblech über dem Tank.
Die Nummer 57 präsentierte sich unangetastet im Original. Schleifspuren im Dach identifizierte Kuno Werner ebenfalls als authentisch, "da haben die Kollegen damals nacharbeiten müssen" schmunzelt er. Seine erste Bilanz fiel besser aus als erwartet. Vor dem Tauchgang waren die Experten davon ausgegangen, dass über 50 Prozent der Karosserie zerstört seien. Jetzt zeigte sich mehr als die Hälfte des Blechs als erhaltenswert.
Zwölf Monate Handarbeit für den Rohbau
Was ersetzt werden musste, lieferte die Rohkarosserie eines 911 von 1965. Damit ist gewährleistet, dass Zusammensetzung, Beschaffenheit und Qualität der Bleche und Stähle so original wie möglich bleiben. Die Karosseriebauer zerlegten den Teilespender buchstäblich in seine einzelnen Komponenten. So bohrten die Restauratoren beispielsweise Schweißpunkt für Schweißpunkt eines kleinen Dreiecksblechs im Fond aus und transplantierten es zur Karosserie der Nummer 57. Die Längsträger wurden ebenso ausgetauscht wie alle Steh-, Innen- und Außenbleche der Seitenschweller. Deren Innenleben barg eine Überraschung: Anders als in den späteren 911 verlaufen die Heizungsrohre unter dem hinteren Achsrohr hindurch und nicht darüber. Während also die Heizrohre in der Karosserie des anderen Fahrzeugs in den Schwellern Platz fanden, werden die Zuleitungen an besagter Stelle neu angefertigt. Eine der wenigen Komponenten, die aus altem Blech neu entstehen mussten. Neue Stehbleche sowie die vorderen Kotflügel und der Bug der späteren 911-Karosserie komplettierten den Wiederaufbau der Front.
Rund zwölf Monate formten und schweißten die Karosseriebauer Stahl und Blech. Stück für Stück nahm der Torso der Nummer 57 wieder seinen Originalzustand an. Dann folgte der Feinschliff. Dazu wurden die Verglasung und Stoßstangen, Türgriffe und Antenne, Scheinwerfer und Zierleisten, sowie sämtliche Anbauteile bei Porsche Classic an der unlackierten Karosserie montiert. Damit stellten die Experten sicher, dass nicht nur die Spaltmaße der Karosserie, sondern auch die Abstände und Symmetrien von Stoßstangen und -hörnern, Blenden und Gittern zueinander passen. Selbst sehr kleine Abweichungen wurden nachgearbeitet oder mit Karosseriezinn eingepasst.
Faszination verbindet Generationen: Ascher aus der Lehrwerkstatt
Traditionell zählt auch die Porsche Lehrwerkstatt zu den Zulieferern der Restauratoren. Detaillierte Blecharbeiten und Lackierungen sind die häufigsten Positionen auf der Wunschliste der Museumswerkstatt an den Nachwuchs. Für die Nummer 57 orderte das Museum zum Beispiel einen Halter für die Abgasanlage oder ein Bremsankerblech. Die kniffligste Aufgabe für die Karosseriebauer in spe war die Wiederherstellung des Aschenbechers. Das hintere Drittel des Einschubs war weggerostet und die verchromte Auflage mit einem rechteckigen Loch für die Zigarre fehlte. Ein typisches Erkennungsmerkmal für ein Modell von 1964: Schon im Jahr darauf entfiel das rechteckige Loch und somit der Zigarrenhalter. Beides galt es zu ersetzen. Der Modellbau in Weissach lieferte eine Holzform, die Auszubildenden klopften, drückten und walzten darüber das Ascherfragment.
Bei der Lackfarbe signalrot 6407 musste die Originalität einen Schritt zurückstehen
Fahrwerk und Antrieb, Sitze und Armaturen kehrten im Herbst 2016 nach und nach von der Aufbereitung zurück. Und doch blieb eine Vielzahl von Baustellen, die während des Zusammenbaus noch zu bearbeiten waren. Dabei ging es auch um sehr detaillierte Problemstellungen wie beispielsweise die Frage, welche Schraubenform ursprünglich zur Befestigung der Blinker verwendet wurde. Während die Verglasung komplett original erhalten blieb, kam als Kabelbaum der angepasste Nachbau für einen 911 der späteren F-Serie zum Einsatz.
Um den Innenhimmel im ursprünglichen Design wieder herzustellen hatten die Restauratoren beim Zerlegen das besterhaltene Muster gesichert. Bei den ganz frühen Elfern bildete das Lochmuster ein quadratisches Viereck, später abgelöst von einer Rautenform. Das Originalwerkzeug blieb als eines der wenigen aus den 1960er Jahren bis heute erhalten. Dank dieser Stachelwalze, mit der die Prägung etwa bei Reparaturen von Himmel oder Verkleidungen eingestanzt werden konnte, entstand der Innenhimmel im Originalmuster neu.
Im Sommer 2017 feierte die Nummer 57 Hochzeit, der Boxermotor nahm seinen angestammten Platz wieder ein. Nach ein paar Feinarbeiten zur endgültigen Abstimmung startete der älteste 911 des Porsche Museums im Herbst in sein zweites Leben.